Über die Macht der Medien in der Politik

@coolisse.bsky.social

Früher war alles anders

Es gab mal eine Zeit, da war Politik im Grunde nur Politikern vorbehalten. (Nein, dies wird kein "früher war alles besser"-Thread. Lest weiter.)
Natürlich gab's Stammtischpolitik überall; die dabei nicht mitmachten, machten sich über jene lustig, die das taten.
Aber genaue Einblicke darin, was hinter den Bühnen geschah, welche Zusammenhänge bestanden. blieb den meisten eben doch eher schleierhaft.
Man mokierte sich über "die da oben", und gab es aus dem Volk vereinzelt bessere Vorschläge, so gingen sie doch unter.

Der Rundfunk

Zum Glück gab es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der seine Aufgabe damals augenscheinlich noch ernst nahm.
Ein bisschen

  • Unterhaltung (Peter Alexander, Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld, Joachim Fuchsberger, Hans Rosenthal, Wim Thoelke, Rudi Carrell, Frank Elstner, ... jupp, tatsächlich meist nur Männer), ein bisschen
  • Berichterstattung (Tagesschau, Heute, Bericht aus Bonn/Berlin, ...), ein bisschen
  • Information (Heinz Haber, Bernhard Grzimek, Hoimar von Ditfurth, Joachim Bublath, ...).

Information und der Glaube daran

Der Informationsteil war zwar oft populärwissenschaftlich, so richtig "nachrechnen", wie "diese Wissenschaftler" auf all das kamen, konnte man selbst kaum, wenn man das entsprechende Fach nicht selbst studierte - das meiste basierte darauf, das man die Erkenntnisse einfach glauben müsse.
Und zu einem großen Teil klappte das auch.
Man glaubte, vertraute, verließ sich trotz allem Nörgeln sogar auf die Politik. Denn alles in allem ging es uns ja gar nicht schlecht.
(Dass das nur möglich war, weil wir Ressourcen rücksichtslos verprassten, begriff man in der Masse erst später. "Solange hier die Öfen brennen und die Fensterbänke jeden Morgen dreckig sind, geht's uns gut", sagte mein Opa oft).

Privatsender jippieh, Bullshit Ahoi

Dann kamen die Privatsender aufs Tapet. Blödsinns-Spielshows ("Rosso Giallo Blu") oder Astrologinnen/Wahrsagerinnen-Sendungen waren noch das harmloseste.
Aber neben noch mehr Unterhaltung kamen auch Sender dazu, die wirklich völligen Schwachsinn verbreiteten. Esotherik, "echte Wahrheiten", Diskussionsrunden (die keine waren) mit Pseudo-Wissenschaflern verbreiteten Desinformation. Jetzt nicht mehr nur am Stammtisch, sondern ganz öffentlich und sogar legal.
Wer mittlerweile vom Fernsehen gelangweilt war, begann zu zappen und "entdeckte" so das eine oder andere "interessante" Thema, und je öfter man sich das anschaute, desto überzeugter war man, dass die ganze Bevölkerung, ja die ganze Welt von der Regierung, sogar von der Wissenschaft schlicht belogen wurde.
Ich habe mir solche Sendungen nie länger angeschaut, weil es so haarsträubend war, aber manche werden es wohl getan haben.

Soziale Medien: Endlich freie Meinung!

Dann kamen die sozialen Medien auf. Zunächst gab es nur holperige Webseiten, aber es gab Foren und Chaträume. Endlich war man als Zweifler nicht mehr nur auf dusselige Leserbriefe beschränkt, die noch dazu meist schlicht nicht veröffentlich wurden. Vielleicht mal hier und da, so als Kontrapunkt.
Aber noch ging es ganz gut, das bisschen Desinformation glaubten nur wenige, bekamen es meistens nicht mal mit. Doch es wuchs unbemerkt.

Fazebock und die Algorithmen

Als Facebook kam, kippte ziemlich viel. Es bildeten sich Gruppen, die im Geheimen "aufdeckten" (klingt paradox? Nein, sie blieben ja trotzdem unter sich, verstärkten sich gegenseitig, meist vor den Augen anderer verborgen dank des Algorithmus von Facebook).
Wer dort durch Freundes-Freunde und Empfehlungen hinfand, fand manchmal nicht mehr heraus. Einmal infiziert von Verschwörungsglauben gegen alles und jeden, war man gefangen und fortan auch den noch so vernünftigsten Argumenten früherer Freunde nicht mehr zugänglich. Ich habe das selbst erlebt und gute Freunde abdriften sehen.

Endlich Politik für alle!

Es steigerte sich allmählich, aber ab einem bestimmten Punkt war Politik nicht mehr nur Parteisache. Jeder wollte mitreden und tat das auch. Es gab ja im Internet tatsächlich auch gute Informationsquellen, so einfach zugänglich wie nie zuvor - auch ohne Brockhaus oder mathematische, physikalische, chemische Formelsammlungen im Schrank konnte man sehr viel nachvollziehen.
Leider gab es auch genausoviele Falschinformationen, die sich die "Gegner der Verschwörung" zusammengewurschtelt hatten, aus zweifelhaften Quellen zitiert, falsch interpretiert, im unpassenden Kontext verwendet, kurz: Völliger Blödsinn.
Aber wer das glaubte, war eben auch nicht weitergebildet im Laufe der Jahre - er "glaubte" eben nur, so wie man das früher auch tat, nur jetzt eben den falschen Leuten. Unbeirrbar, stur, alleine aufgrund des angeblich völlig ausreichenden "gesunden Menschenverstandes".

Medien, Politik und angebliche Ausgewogenheit

Das ist die Situation, wo wir jetzt stehen.
Heraushelfen kann uns eigentlich wieder mal nur die vierte Macht im Staat: Die Medien.
Die endlich davon abkommen müssen, nur Sprachrohr zu spielen, nur zu "berichten" ohne Einordnung.
Medien, denen unsere Zukunft etwas wert ist, müssen politisch werden.
Müssen wissenschaftlich werden. Schluss mit "Ausgewogenheit", die nur angebracht war, als die Welt selbst noch ausgewogen war. Sie ist nicht ausgewogen, sie kippt. Nach rechts und in Richtung Klimazerstörung. Wir brauchen Medien mit Mut. Die auf den Tisch schlagen statt ihrem Besitzer zu gehorchen, die nachvollziehbar vorrechnen, dass Gas teuer ist, Kernkraft Blödsinn, sodass es jeder kapiert. Die Politiker vorführen, die Quark labern.

Und sie sollen sich bitte nicht "links" nennen, denn Vernunft, Weitsicht, Gemeinsinn ist nicht links.

Es ist das, was eigentlich mal gesunder Menschenverstand hieß, aber wohl längst nicht mehr als solcher gilt.

coolisse.bsky.social
Avatarinchen

@coolisse.bsky.social

Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben,
und nun steh' ich hier, ich armer Tor - das ist hier die Frage!

Nieder mit dem CO₂

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